Nordlichter - ein samischer Motorrad Club

In der Luft lag der wabernde Staub und die Geräusche eines brodelnden Partygeländes. Die schwedischen Ausrichter der Harley Super Rally in Ljungbyhed hatten sich wieder mächtig ins Zeug gelegt. Musik vom Feinsten, super Campground und bis in die Nacht bestes Biker-Entertainment.Am Tag war das Programm dann eher familienfreundlich, zum Beispiel mit Lassowerfen.
Das war was für Jense: Beim Lassowerfen rechnete er sich gute Chancen aus, einen Preis nach Hause schleppen zu können. Also ging er zu den Organisatoren und fragte nach dem ersten Preis. Gespannt warteten seine Brother auf das Ergebnis. Kopfschüttelnd kam Jense zurück.
„Nee, da mach ich nicht mit“, war sein Kommentar, und auf die fragenden Blicke der Umstehenden erwiderte er:
„Der Hauptpreis hier ist eine Woche Wildniscamp in einem Samidorf in Nordschweden Wenn ich Pech hab und gewinne das, dann muss ich vielleicht meinem Nachbarn eine Woche lang helfen seine Rentiere einzufangen.“
Allgemeines Lachen war die Folge: Nee, dann lieber nicht. Denn die Aussicht zu gewinnen war denkbar gut – vermutlich hätte jeder Lassowurf gesessen. Jense, zu dessen alltäglicher Arbeit es gehört, Rentiere mit dem Lasso einzufangen, war President des einzigen samischen Motorradclubs der Welt.
Wer dort, im nördlichsten Schweden, einmal auf den einsamen Straßen unterwegs ist, dem kann es passieren, dass mit einem Mal ein lauter werdendes Donnern die Luft erfüllt, und dann brausen sie auch schon vorbei.
Falsch geraten, die Rede ist nicht von einer Gruppe Bikern auf ihren Harleys. Es handelt sich um riesige Herden zottiger Rentiere, die unter lautem Getöse die Ruhe durchbrechen.
Aber dann kommen sie doch noch, die Männer auf ihren Bikes. Member des einzigen samischen MCs, wie sich im Staub den Rückencolours der Vorbeihuschenden entnehmen lässt. Dann ist der Spuk auch schon wieder vorbei, und die Hatz der wilden Männer durch die Tundra geht weiter.
Samen sind es, welche seit Jahrtausenden dem Rentier folgen. Sie leben bis heute von der Rentierzucht und -haltung und begleiten die Herden über Hunderte von Kilometern von den Sommerweiden in den Tundren und Gletschergebieten bis zu den Winterweiden in den Taigawäldern. In den langen Wintern, wen es bis zu minus xx Grad kalt wird, nutzt man zur Arbeit Schneemobile. Im Sommer wird auf Geländemotorräder umgestiegen.
Im völlig weglosen arktischen Gelände haben sich hierbei die Rentiermenschen zu wahren Spezialisten auf den Bikes entwickelt – ein Muss zum Überleben, wenn sie mit hoher Geschwindigkeit durch das Gelände brettern.
Intakte Maschinen sind daher für sie die Lebensversicherung. Um dies zu gewährleisten, lassen sie keine fremde Hand an die Bikes. Reparatur, Wartung, Tuning, alles wird in Eigenregie gemacht.
In der spärlichen Freizeit allerdings wird das Geländemotorrad abgestellt und die Harley aus den Hütten geschoben.
Bis in das winzige Samidorf im schwedisch/norwegischen Grenzgebiet hat sich der Harley Bazillus verbreitet. Circa 7000 Bewohner gibt es, von denen allerdings nur 48 Menschen und der Rest Rentiere sind. Das Clubhaus als zentraler Anlaufpunkt befindet sich direkt beim Dorf, welches mehr als 300 Kilometer vom nächsten größeren Ort entfernt liegt. An einem der langen Winterabende, als man am Lagerfeuer zusammen saß, kam die Idee auf, zum Zeichen der Zusammengehörigkeit Kutte zu tragen. Seither schmückt das Zeichen Ålme-Gasjien-Johke die Rücken.
„Der Name ist südsamisch und bedeutet: Die Leute, die zwischen den beiden Flüssen wohnen“, erklärt Jense, Presi, oder auch Häuptling, des Clubs. Seine Familie lebt seit Urzeiten in der Einöd-Siedlung. Sein Großvater war der legendäre Stammesälteste Jon Fjällgren.
Als Zusatzbezeichnung findet sich der Begriff Nomads im Colour. Dies hat in Lappland eine andere Bedeutung als bei uns in Deutschland. Denn bis zu 1200 Kilometer einfache Strecke innerhalb Schwedens müssen die einzelnen Member zurücklegen, um an den Meetings im Clubhaus teilzunehmen.
Weit ist auch die Anfahrt für Renrajd Uwe, der mit Hauptwohnsitz in Kassel als erster „Nicht-Same“ in den Club aufgenommen wurde. Nach langer Freundschaft zu Jense erwarben Uwe und seine Frau Brigitte 1994 eine Hütte im Sami Dorf. Seither sind sie regelmäßig im Norden zu finden. Wenn es die Arbeit erlaubt, leben sie dort im eigenen Blockhaus und beteiligen sich am Dorfleben und der Rentierzucht. Sie sind in die Gemeinschaft aufgenommen und voll integriert. Sohn Reto wanderte vor sieben Jahren dorthin aus und hält eigene Rentiere. Er lebt seither ganz und gar mit den Sami.
Die Mitarbeit bei den dortigen Bikern war für Uwe und Brigitte als Harleyfahrer von Anfang an selbstverständlich. Bei der Gründung 1999 war es daher keine Frage, dass Renrajd Uwe von den Sami als Full Member aufgenommen wird.
Auf die Frage nach Prospectzeiten oder Aufnahmevoraussetzungen schmunzelt Uwe und antwortet:
„Natürlich müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein und wir prüfen gründlich, wer bei uns mitfahren will. Mindestens ein Jahr muss man sich als zugehörig bewähren. Unsere Grundeinstellung zeigt spiegelt sich auch in dem Patch T.D.L. wider, welches alle Member auf den Kutten tragen. Dies steht für ‚Tar det Lugnt’ und bedeutet: Nimm es gelassen. Am Besten allerdings beantwortet diese Frage unsere samische Struktur. Wer zum Stamm gehört, ist unser aller Bruder. Wir kennen ihn, achten ihn und er ist Teil unserer Existenz. Alle Regularien entspringen dem überlebenswichtigen Miteinander in der lebensfeindlichen Wildnis. So einfach ist das.“

(c) Copyright in Wort und Bild Christoph Külzer-Schröder